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Thema: Die tieferen Ursachen der Weltfinanzkrise, Interview

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Beitrag #0 von LordofShares am 18.02.2009 10:09   ( 4.329 Beiträge | Status: ok )
Die tieferen Ursachen der Weltfinanzkrise, Interview

10.02.2009

"Wenn die Titanic absäuft, braucht man Rettungsboote"

Der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Senf über die tieferen Ursachen der Weltfinanzkrise und über Experimente mit Regionalwährungen.

Interview von Carsten Kloth
10.2.2009 11:53 Uhr

Herr Professor Senf, was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen der Finanzkrise?

Die amerikanische Immobilienkrise ist ein Auslöser, aber nicht die tiefere Ursache der derzeitigen Krise. Ein großes Problem sehe ich in unserem bestehenden Geldsystem – in der Dynamik, die Zins und Zinseszins entfalten. Weitere Probleme sehe ich in der Art und Weise, wie das Geld in den Wirtschaftskreislauf gelangt, also das Thema Geldschöpfung.

Worin besteht die Problematik des Zinssystems?

Der Zins bewirkt für die Geldanleger, dass sich deren Vermögen vermehrt. Wenn die Zinserträge wieder auf die Geldanlage draufgepackt werden, dann setzt der sogenannte Zinseszins ein. Eine schöne Sache aus Sicht der Geldanleger: Das Geldvermögen wächst nicht linear sondern im beschleunigten Maße an, was man exponentielles Wachstum nennt.

Kaum jemand fragt, wie das auf Dauer möglich ist. Das Geld, das den Banken zufließt, wird von ihnen als Kredit ausgeliehen – zum Beispiel an Unternehmen, die damit investieren. Sie sind dann aber die Schuldner und müssen den Kredit bedienen. Also muss der Zins erwirtschaftet werden. Der Zins setzt die Gesamtheit der verschuldeten Unternehmen unter eine Art Wachstumszwang. Sie müssen von Jahr zu Jahr mehr produzieren, mehr absetzen und soviel erwirtschaften, dass sie die Schuld bedienen können und möglichst noch einen Gewinn erzielen.

Was heißt das in der Konsequenz?

Dem Anwachsen des Geldvermögens steht unvermeidlich ein entsprechend schnelles Anwachsen der Verschuldung gegenüber. Was bringt das nun mit sich, wenn die Verschuldung exponentiell wächst? Auch die Zinslasten steigen beschleunigt an. Diese müssen vom erwirtschafteten Sozialprodukt aufgebracht werden. Das kann so lange gut gehen, wie das Sozialprodukt mit der Rate des Kreditzinses wächst.

Wirkt der Zins hier nicht wie ein Antrieb?

Der Zins treibt die Verschuldeten in Richtung Produktivitätssteigerung. Er könnte daher auch als ein Motor des Wirtschaftswachstums betrachtet werden. Aber wie stark kann eine Wirtschaft auf Dauer real wachsen? Oder betrachtet aus Sicht der Geldanleger: Was würde es bedeuten, wenn Geldvermögen jährlich um fünf Prozent Zins und Zinseszins anwachsen würden? Schon nach einigen Jahrzehnten kommt man in astronomische Größenordnungen hinein – sowohl bei den Geldvermögen als auch entsprechend bei der Verschuldung. Dies kann nicht mehr wirklich erwirtschaftet werden. Man könnte sagen: Der Teil, den das Geldvermögen von den Schuldnern fordert, frisst einen immer größeren Teil des Sozialproduktes auf.

Was bedeutet das?

Wenn sich die Wachstumsraten des Sozialproduktes auch nur abschwächen – jetzt sind wir ja sogar in einer Rezession – während sich die Zinslasten immer weiter ausweiten, muss es immer enger werden. Nach Abzug der Zinslasten wird das, was noch übrig bleibt und in der Gesellschaft verteilt werden kann, immer kleiner. Somit müssen sich die Verteilungskämpfe verschärfen.

Dies strapaziert das System über?

Das Zinssystem baut innerhalb mehrere Jahrzehnte wachsende Spannungen auf, zwischen wachsenden Geldvermögen einerseits und spiegelbildlich wachsender Verschuldung andererseits. Irgendwann braucht es nur noch gewisse Auslöser, damit diese Spannungen sich lösen. Ein Beispiel ist die amerikanische Hypothekenkrise. Aber auch ohne diesen Auslöser wäre es irgendwann dazu gekommen, dass Entwertungsprozesse von Forderungen und Schulden stattfinden.

Und dann muss der Staat eingreifen?

Der normale Gang der Dinge in einer Marktwirtschaft sollte sein, dass Unternehmen, die sich verkalkuliert haben beziehungsweise Verluste gemacht haben und keine Reserven besitzen, ihre Existenzberechtigung verlieren. Das ist der Ablauf, der Jahrzehntelang gepredigt worden ist: Die Märkte regulieren sich selbst. Wer sich am Markt bewährt, der hat Chancen. Wer sich nicht bewährt, der landet im Konkurs oder geht Pleite. Mit einem Male sehen wir, dass dies für Banken nicht gilt. Der Staat muss zunehmend als Retter auftreten. Er soll die Verluste ausgleichen.

Ist das angesichts der Krise nicht die bessere Lösung?

Die Frage ist, wo nimmt denn der Staat das Geld her? Entweder hat er es aus Steuermitteln, er senkt die Staatsausgaben oder er verschuldet sich noch mehr. Vor einem halben Jahr haben Kanzlerin und Finanzminister noch gesagt: Eines der obersten Ziele ist ein ausgeglichener Staatshaushalt für 2011. Dies ist alles Makulatur. Für mich ist das nicht verwunderlich angesichts des bestehenden Zinssystems. Solange die Geldvermögen wachsen wollen und dies auch einfordern, muss irgendwo anders die Staatsverschuldung wachsen. Und wenn dies bei privaten Unternehmen und Haushalten auf Grenzen stößt, dann muss der Staat in zunehmende Verschuldung geraten.

Hat die Politik versagt?

Es ist nicht nur individuelles Versagen von Finanzministern und Regierungen. Das Versagen ist systembedingt. Fast jede Regierung ist angetreten mit dem Ziel einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu schaffen oder sogar Verschuldung abzubauen. Doch im System ist ein Zwang zu wachsender Verschuldung eingebaut.

Und die Banken fördern die Verschuldung?

In den USA hat man den privaten Haushalten Kredite zu niedrigen Zinsen quasi hinterher geschmissen. Dann ist drauf los gebaut worden und es gab einen Boom an den Immobilienmärkten. Damit schienen diese Kredite abgesichert: Selbst wenn die Haushalte den Kredit nicht abbezahlen könnten, dann hätten sie ein wertvolles Grundstück, mit dem im Ernstfall die ausstehenden Forderungen bedient werden könnten.

Man hat die Kreditnehmer mit steigenden Häuserpreisen in die Verschuldung gelockt. Irgendwo im Kleingedruckten stand dann, dass der Kreditzins variabel ist, also auch steigen kann. Und dann stieg er und viele Haushalte waren nicht mehr in der Lage, die Kredite zu bedienen. Die Häuser mussten verkauft oder zwangsversteigert werden, was den Immobilienmarkt mit Angebot überflutet und den Preis gedrückt hat. So stellte sich heraus, dass die vermeintlichen Sicherungen keine waren.

Das Zinssystem erzwingt also eine solche wachsende Verschuldung?

Ja. Banken und Investmentfonds, die diese Geldflüsse vermitteln, stehen unter einem systembedingten Druck. Ihnen sind die Gelder anvertraut worden, mit der Aufgabe, etwas daraus zu machen. Sie stehen also unter Druck – und in Konkurrenz zueinander –, immer wieder neue Schuldner zu finden. Ich nenne das "monetären Stauungsdruck".

Die Gier einzelner hat zwar auch eine Rolle gespielt, aber es sind Struktur und Dynamik des Systems, die die wachsende Verschuldung hervor treiben. Die Sicherungen der Kredite, wie zum Beispiel Grundstücke und Häuser, können sich jedoch nicht entsprechend vermehren. Wenn die Sicherungen mit dem geforderten Wachstum der Schulden und der Geldvermögen nicht schritthalten können, dann muss es bei der Kreditvergabe immer leichtfertiger zugehen.

Die Kreditvergabe der Banken lässt die Geldmenge ja weiter anwachsen. Stichwort Giralgeldschöpfung. Welche Auswirkung hat dies?

Wir können alle mit bargeldloser Überweisung oder Schecks bezahlen – mit sogenanntem Giralgeld, das auf Girokonten als Guthaben vorhanden ist. Es wirkt wie ein gesetzliches Zahlungsmittel, auch wenn es keines ist. Immer mehr Menschen verzichten auf Bargeld und lassen ihr Geld auf dem Girokonto. Die Banken stellen sich darauf ein: Wenn ein Großteil des Bargeldes im Normalbetrieb nicht angetastet wird, dann überlegen sie alternative Verwendungsmöglichkeiten und leihen es beispielsweise als Kredit aus. Dies ist eigentlich nicht korrekt.

Wenn ich einen Mantel an der Garderobe der Philharmonie abgebe, dann erwarte ich, ihn jederzeit wieder abholen zu können. Stellen Sie sich vor, sie kommen in der Pause zur Garderobe um den Mantel vorzeitig abzuholen, und er ist nicht da, weil er verliehen wurde an jemanden der draußen fror – gegen eine Gebühr. Hier wird deutlich: Das geht eigentlich nicht. Die Banken nutzen wie selbstverständlich einen Großteil der vorhandenen Einlagen zur Kreditvergabe.

Und so schöpfen sie neues Buchgeld…

Die privaten Geschäftsbanken sind so in der Lage, über das von der Zentralbank in den Wirtschaftskreislauf eingebrachte Geld hinaus noch zusätzliches Geld zu schaffen. Zwar nicht in Papierform – das wäre Geldfälschung – aber in Form von Guthaben auf Girokonten und zwar um ein Vielfaches ihrer Bargeldreserven. Diesen aus dem Nichts geschöpften zusätzlichen Guthaben liegen keine Einlagen zugrunde.

Die privaten Geschäftsbanken schöpfen Geld aus dem Nichts und bringen es als Kredit in Umlauf. Dadurch wird es eine sehr reale Forderung gegenüber Schuldnern, und diese Schuldner müssen dann für dieses Geld auch noch Zinsen zahlen und den Kredit tilgen. Wenn sie das nicht schaffen, dann hat die Bank Zugriff auf deren Eigentum. Das ist eigentlich ungeheuerlich. Auf diese Problematik hatte schon Irving Fisher in den 30er Jahren hingewiesen und ein Giralgeld gefordert, das zu 100 Prozent durch Bargeld gedeckt sein muss.

Was muss jetzt, angesichts der aktuellen Krise, geschehen?

Man muss sich auf die tieferen Ursachen der Krise besinnen. Wenn man nur an den Symptomen kuriert – und das ist das, was ich jetzt mit den ganzen Rettungspaketen beobachte – dann greift das nicht tief genug. Die Nebenwirkungen einer solchen Medizin werden schnell zum Hauptproblem.

Zum Beispiel die Nebenwirkung einer exorbitanten Staatsverschuldung…

Ja, wo treibt das hin? Eine Möglichkeit ist der Staatsbankrott. Irgendwann sagt der Staat: Ich kann die Löhne der Staatsdiener nicht mehr bezahlen, oder die Sozialprogramme, oder – und das kommt meist zuletzt – ich kann die Gläubiger nicht mehr bedienen. Island stand kurz davor. Damit das keine Panik auslöst, ist das Land durch internationale Rettungsaktionen vor dem Staatsbankrott bewahrt worden.

Gibt es andere Möglichkeiten?

Eine andere Verlaufsform wäre – und das hatten wir in der deutschen Geschichte 1923 – die Hyperinflation. Alle Geldbeträge aber auch alle Schulden werden dadurch vernichtet. So kann sich der Staat entschulden. Vernichtet werden aber auch die Ersparnisse der mittleren und kleinen Einkommen, beispielsweise deren Altersvorsorge.

Gibt es Alternativen zum derzeitigen System?

Was die Rolle des Zinses angeht, ja. Die Frage ist, ob sich das Geld nicht auf andere Weise in Umlauf bringen und halten lässt, ohne dass die Umlaufsicherung so destruktive Folgen hat wie Zins und Zinseszins. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat es Überlegungen von Silvio Gesell hinsichtlich einer Geldumlaufsicherungsgebühr gegeben. Diejenigen, die Geld übrig haben und es dem Wirtschaftskreislauf entziehen, werden mit einer solchen Gebühr belastet und haben so einen Anreiz, das Geld wieder der Realwirtschaft zuzuführen – ohne jedoch einen hohen Zins dafür zu fordern.

Um ein Zinsverbot geht es also nicht?

Nein. Aber die Folge einer Umlaufsicherungsgebühr sind vergleichsweise niedrige Zinsen. Die Idee ist sogar im kleinen Maßstab verschiedentlich umgesetzt worden. Das waren dann regionale Alternativwährungen, etwa 1932 in der österreichischen Stadt Wörgl. Damals gab es eine Weltwirtschaftskrise, aber das Gebiet um Wörgl ist ökonomisch aufgeblüht. Man sprach sogar vom "Wunder von Wörgl". Allerdings wurden dieses Experiment in Wörgl und andere Versuche in den USA ausgebremst. In Österreich zog die Nationalbank vor Gericht und berief sich auf ihr Privileg der Geldversorgung.

Aus den Versuchen mit Regionalwährungen kann man jedoch lernen. Denn: Wenn die Titanic absäuft, dann braucht man mindestens Rettungsboote – und die sollte man vorher mal ausprobiert haben.

Und das Thema Geldschöpfung?

Geldschöpfung gehört in öffentliche Hand und nicht größtenteils in die Hand des privaten Bankensystems, das ja an der Steuerung der Geldmenge keinerlei Interesse hat. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Geldreform wurde in jüngster Zeit von Joseph Huber und James Robertson begründet. Die Geldschöpfung gehört – abgesehen von Regionalwährungen – in die Hand der Zentralbank. Aber da wäre die Konstruktion einer Zentralbank noch einmal zu diskutieren, denn manche Zentralbanken sind nicht in öffentlicher Hand.

Wie zum Beispiel die amerikanische Zentralbank?

Ja, wie zum Beispiel die Fed. Sie wurde 1913 von einem privaten Bankenkartell gegründet und ist bis heute in privater Hand. Zwar gibt es einige öffentliche beziehungsweise staatliche Kontrollmechanismen, aber die Anteilseigner der Fed sind private Großbanken. Das gehört auch in die öffentliche Diskussion: Wer sind eigentlich die Herren der Geldschöpfung? Und liegt sie in den richtigen Händen?

Und die privaten Banken sollten nicht verstaatlicht werden?

Irving Fishers Meinung dazu war: Verstaatlichung der Geldschöpfung, ja – Verstaatlichung der Banken, nein. Die Geschäftsbanken sollten sich auf Kreditgeschäfte mit dem Geld konzentrieren, das ihnen dafür anvertraut wurde und bereits im Wirtschaftskreislauf ist. Geldschöpfung in öffentliche Hand bedeutet dabei nicht in die Hand der Regierung. Das ist oft schief gelaufen. Die Zentralbank sollte öffentlich aber unabhängig von der Regierung sein. Ich nenne das eine "Monetative", die als vierte Säule neben Exekutive, Legislative und Judikative im Sinne der Gewaltenteilung geschaffen werden sollte. Sie sollte vor allen Dingen unabhängig vom privaten Bankensystem sein.

Bernd Senf ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der FHW Berlin.
Das Interview führte Carsten Kloth.

Quelle: Der Tagesspiegel


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